Hubert Studer, Büro für Qualitätsentwicklung
Wer sich in Projekten der Gesundheitsförderung und Prävention den Methoden und Werkzeugen des klassischen Projektmanagements bedient, macht bei der Planung in der Regel nicht viel falsch, gerät aber bei der Projektsteuerung in Gefahr, dafür sorgen zu wollen, dass das Projekt möglichst genau so wie geplant umgesetzt wird. Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, Massnahmen partizipativ zu entwickeln und periodisch wiederkehrend kritisch zu reflektieren und bei Bedarf anzupassen.
Gesundheitsförderung ist Entwicklungsbegleitung
Zu den Aufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention gehören gewiss das Sensibilisieren für die Thematik, das Informieren über Zusammenhänge zwischen Verhalten und Verhältnissen auf der einen und Gesundheit auf der anderen Seite, das Fördern von Einsichten in die Notwendigkeit eines gesünderen Lebensstils in einer gesundheitsförderlich gestalteten Wohn- und Arbeitswelt. Die Praxis zeigt, dass dies gut ist aber nicht genügt, denn aus einer gesunden Einsicht folgt selten eine gesunde Lebenspraxis.
Wirksame und nachhaltige Gesundheitsförderung und Prävention ist Setting bezogen und setzt auf verschiedenen Handlungsebenen an: beim Individuum, bei Gruppen, beim Setting als Organisation, bei dessen Umfeld und seiner Einbettung in regionale Netzwerke und schliesslich auch auf der Ebene von Gesellschaft und Politik.
Entsprechend den Prinzipien der Gesundheitsförderung wie Chancengleichheit, Partizipation und Empowerment geht es bei Interventionen in Settings darum, gemeinsam mit Menschen in ihren alltäglichen Umwelten Handlungs- und Gestaltungsspielräume zu entdecken, zu nutzen und zu erweitern. Die Akteure in den Settings werden dazu ermuntert, ihr Setting gesundheitsförderlich zu entwickeln und in diesem Entwicklungsprozess begleitet.
Herausforderung durch Komplexität
Interventionen in der Gesundheitsförderung und Prävention in Form von zeitlich begrenzten Programmen und Projekten sind aufgrund der Komplexität sozial-räumlicher Systeme eine grosse Herausforderung (vgl. Kolip et al. 2012, Ackermann 2011), die nicht nur eine sorgfältige Planung sondern auch eine den besonderen Anforderungen entsprechende Steuerung erfordern.
Dynamik von Interventionen
Projekte der Gesundheitsförderung haben eine andere Dynamik als die Projekte, für die das klassische Projektmanagement entwickelt wurde. Es geht nicht primär darum, dass eine geplante Abfolge voneinander abhängiger Aktivitäten in einem festgelegten Zeitraum und mit den jeweils vorhandenen Ressourcen termingerecht realisiert wird, sondern um das situationsgeleitete Bereitstellen von Ressourcen und Wegräumen von Hindernissen, um bestimmte, erwünschte Entwicklungen zu begünstigen.
Klassisches Projektmanagement geht von der Annahme aus, dass man vor Beginn der Umsetzung eines Projekts nicht nur die Ziele kennt, sondern auch genau weiss, was wann in welcher Reihenfolge und Weise zu geschehen hat, damit diese Ziele erreicht werden. Die Aufgabe der Steuerung besteht darin, Abweichungen vom Plan zu verhindern oder zu korrigieren.
In Projekten der Gesundheitsförderung und Prävention sollten zu Beginn die Ziele ebenso klar sein, doch hat der Weg zu den Zielen den Charakter einer Hypothese, bei der sich zeigen wird, ob sie sich bewährt. Massnahmen und Zwischenziele werden gemeinsam mit den Akteuren in den Settings erarbeitet, überprüft und reflektiert. Bei Interventionen in Settings ist im Projektalltag oft situationsgeleitetes Handeln und Entscheiden erforderlich – freilich ohne dass man dabei die übergeordneten Ziele des Projekts aus den Augen verlieren sollte.
Systematische Steuerung
Manche Projektleiterinnen und -leiter in der Gesundheitsförderung und Prävention ziehen aus dieser Erkenntnis gerne den Schluss, dass es bei der Steuerung von Projekten vor allem auf die (langjährige) Erfahrung ankommt und ein methodisches oder systematisches Vorgehen – was gerne mit einem standarisierten Vorgehen verwechselt wird –, dem Projekterfolg gar hinderlich ist.
Auftrag- und Geldgeber fordern aber immer öfter den Nachweis einer systematischen Projektsteuerung im Sinne eines professionellen Projektmanagements.
Wenn man nun als Projektleiter oder -leiterin diesen Anspruch einlösen will und dabei die Begriffe und Methodik des klassischen Projektmanagements anwendet, entsteht die paradoxe Situation, dass man im Konzept oder Finanzierungsgesuch die Massnahmen und Zwischenziele bereits detailliert planen und beschreiben muss, was man eigentlich erst später in der Implementierungsphase gemeinsam mit den Akteuren im Setting in einem partizipativen Prozess entwickeln möchte.
Die Zwischenziele sind an Meilensteine gekoppelt. Meilensteine werden auch in Projekten der Gesundheitsförderung und Prävention in der Regel inhaltlich definiert, wie dies im klassischen Projektmanagement üblich ist. Meilensteine gelten dann als "erreicht", wenn wichtige Zwischenergebnisse im Projektablauf erreicht worden sind. Wenn nicht, werden sie zeitlich verschoben. Das führt dazu, dass Meilensteine stets diejenigen Zeitpunkte im Projektablauf darstellen, an denen die Lust am Feiern am grössten und zugleich die Bereitschaft, kritisch über das eigene Projekt nachzudenken, am geringsten ist.
Meilensteine als Zeitpunkte kritischer Reflexion
Das klassische Projektmanagement bezieht sich auf Projekte, deren Arbeitsschritte in hohem Masse zeitlich voneinander abhängig sind. Arbeitsschritte können nur dann ausgeführt werden, wenn alle vorhergehenden Arbeitsschritte erledigt sind. Jede Verzögerung bei einem Arbeitsschritt gefährdet die Einhaltung des Zeitplans. Eine Kernaufgabe der Projektsteuerung besteht also darin, diese zeitliche Abfolge sicherzustellen. Bei Interventionen der Gesundheitsförderung und Prävention sind die einzelnen Arbeitsschritte (Massnahmen) in einem viel geringeren Masse (zeitlich) voneinander abhängig. Auf den verschiedenen Handlungsebenen kann in der Regel parallel gearbeitet werden. Verzögerungen oder Schwierigkeiten bei der Umsetzung bestimmter Massnahmen wirken sich nicht zwangsläufig auf andere Massnahmen auf anderen Ebenen aus.
Die Kernaufgabe der Projektsteuerung besteht bei Projekten in der Gesundheitsförderung und Prävention darin, die verschiedenen Massnahmen in Bezug auf Ihre Wirksamkeit und Effizient periodisch wiederkehrend kritisch zu reflektieren und bei Bedarf anzupassen.
Meilensteine sind nichts anderes als die Zeitpunkte im Projektablauf für diese Reflexion. Sie werden regelmässig auf die Implementierungsphase des Projekts verteilt und gliedern sie in Etappen. Damit wird der Begriff des Meilensteins wieder näher an seine ursprüngliche Bedeutung gerückt: Meilensteine als Wegmarken in regelmässigen Abständen.
Meilensteine sind zunächst inhaltsleer. Die Inhalte, die reflektiert werden, ergeben sich aus den gegenwärtig relevanten Massnahmen und den Zwischenzielen, die für den jeweiligen Meilenstein gesetzt wurden.
Entwicklungszyklen
Die Projektsteuerung erhält auf diese Weise bei Interventionsprojekten eine zyklische Form. Auf der Grundlage der systematischen Reflexion der vergangenen Etappe wird die Detailplanung der nächsten Etappe vorgenommen. Massnahmen werden unter Umständen verändert oder zugunsten anderer Massnahmen aufgegeben, die eine höhere Effektivität oder Effizienz versprechen. Beim nächsten Meilenstein werden diese Entscheide wiederum kritisch reflektiert und auf diese Weise beginnt ein neuer Entwicklungszyklus.
Erfolgreiche Projektsteuerung ist also bei Projekten in der Gesundheitsförderung und Prävention nicht dadurch charakterisiert, dass ein im Voraus bis in die Details festgelegter Projektplan, möglichst exakt und termingerecht abgearbeitet wird, sondern durch eine periodisch wiederkehrende, systematische und kritische Reflexion des Projektfortschritts und einer jeweils begründeten, situationsgeleiteten, Fortsetzung des Projekts.
Fazit
Projekte in der Gesundheitsförderung und Prävention unterscheiden sich wesentlich von anderen, zum Beispiel technischen Projekten. Die Begriffe, Methoden und Instrumente des klassischen Projektmanagements sind für Interventionsprojekte in weiten Teilen ungeeignet. Ein Projektmanagement, das den Besonderheiten und der Dynamik solcher Projekte gerecht werden will, muss eine Systematik etablieren, die partizipative Entwicklungen zulässt, Innovation und Kreativität fördert und Flexibilität bei der Umsetzung von Massnahmen sicherstellt.
Das Qualitätssystem quint-essenz versucht diesen Anspruch einzulösen. Es stellt die periodisch wiederkehrende, systematische und (selbst-)kritische Reflexion von Interventionen in den Vordergrund. Dazu gehört sowohl eine Kriterien geleitete systematische Reflexion des Projekts in der Konzeptions- und Valorisierungsphase als auch das Etablieren von Entwicklungszyklen in der Implementierungsphase.
Gute Projekte in der Gesundheitsförderung und Prävention zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie genau so, wie sie ursprünglich geplant wurden, umgesetzt werden, sondern dass der eingeschlagene Weg periodisch überprüft und gegebenenfalls korrigiert wird. Das setzt voraus, dass man als Projektleiter/-in die Bereitschaft entwickelt, immer wieder (selbst-)kritisch über das eigene Projekt und die eigene Projektpraxis nachzudenken. Auftrag- und Geldgeber können dies unterstützen, indem sie anstelle von detaillierten Massnahmen und Zwischenzielen in der Konzeptionsphase das Etablieren von Entwicklungszyklen einfordern.
Literatur
Ackermann, G. (2011). La complessità della prevenzione e della promozione della salute. Newsletter quint-essenz | guigno 2011.
Kolip, P.; Ackermann, G.; Ruckstuhl, B.; Studer, H. (2012). Gesundheitsförderung mit System. Qualitätsentwicklung mit quint-essenz. Bern: Huber.