Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz als Pfeiler der Gesundheitsförderung

Die zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft und insbesondere unseres Gesundheitssystems, das immer grösser werdende Angebot von Produkten und Dienstleistungen sowie die Vielfalt an Informationen aus unterschiedlichen Quellen, wirken sich nur bei einem Teil der Bevölkerung positiv aus. Für die Bevölkerungsgruppen, welche eine geringe Gesundheitskompetenz aufweisen, ist diese Vielfalt ein Hindernis. Denn es wird für sie noch schwieriger, diese Informationen der eigenen Lebenswelt entsprechend zu reflektieren, auszuwählen und anschliessend umzusetzen. Damit die potenziellen Nutzerinnen und Nutzer mit dieser Fülle von teilweise sogar widersprüchlichen Informationen umgehen können, braucht es bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten. Diese umfassen unter anderem Lese-, Sprach- und Verstandsfähigkeiten sowie kognitive, soziale und kritische Fertigkeiten und werden mit dem Begriff der Gesundheitskompetenz umschrieben. Bei digitaler Gesundheitskompetenz (digital health literacy) wird zu den oben erwähnten Fähigkeiten noch der Umgang mit digitalen Medien berücksichtigt.

Bevölkerungsgruppen mit geringer Gesundheitskompetenz in der Schweiz

Die sozioökonomischen und -demografischen Determinanten, welche die Gesundheitskompetenz in der Schweizer Bevölkerung beeinflussen, sind finanzielle Deprivation und Bildungsgrad inklusive Lese- und Schreibefähigkeit sowie Sprachkompetenz. Es gibt noch weitere schwächere Einflussfaktoren wie Migrationshintergrund, Alter, Geschlecht, Sprachregion und Siedlungsart.

Eine Bevölkerungsgruppe mit geringer Gesundheitskompetenz kann folgenden Auswirkungen ausgesetzt sein:

  • eingeschränkter Zugang zu Präventions- und Vorsorgeprogrammen und vermehrtes Risikoverhalten
  • spätere Diagnosestellungen, geringere Compliance und schlechtere Einstellung gegenüber chronischer Krankheiten
  • weniger gute Nutzung des Gesundheitssystems und häufigere Inanspruchnahme von Notfalldiensten

Gesundheitskompetente Bevölkerung

Eine gesundheitskompetente Bevölkerung begünstigt Wohlbefinden und Lebensqualität des Einzelnen und der Gesellschaft. Die Förderung der Gesundheitskompetenz soll deshalb als Querschnittthema in allen Gesellschaftsebenen angestrebt werden, denn Gesundheitskompetenz steckt gewissermassen in jeder Entscheidung, die im Alltag lebenslang von Menschen getroffen wird:

  • beim Lebensmitteleinkauf, bei bewegungsreichen Schulveranstaltungen oder bei der Stressbewältigung am Arbeitsplatz (Gesundheitsförderung)
  • beim Rauchstopp, beim Benutzen von Kondomen oder bei Impfungen (Krankheitsprävention)
  • beim Selbstmanagement von potenziell gefährdeten oder bereits erkrankten Menschen (Gesundheitsversorgung)

Gesundheitskompetente Organisation

Eine gesundheitskompetente Organisation (organisational health literacy) kommuniziert Gesundheitsinformationen auf eine patientenorientierte, leicht verständliche und zugängliche Weise, sie stärkt chronisch kranke Menschen im Selbstmanagement und sie unterstützt risikobetroffene Personen in der Entwicklung gesunder Lebensstile. Fachpersonen wie die Ärzteschaft oder das Pflegepersonal und die Gesundheitsinstitutionen (z.B. Spitäler, ärztliche Praxen, Spitex-Organisationen) spielen eine zentrale Rolle. Je höher die Gesundheitskompetenz von Organisationen und Fachpersonen, desto besser unterstützen sie ratsuchende oder zu behandelnde Personen dabei, selbstständig zu handeln und zu entscheiden.

Gesundheitskompetenz auf Verhältnis- und Verhaltensebene fördern

Benötigte / vorausgesetzte Fähigkeiten für die GesundheitskompetenzVerhältnisebene / SystemeVerhaltensebene / Individuen
Organisationen stellen sich auf die Fokusgruppe ein und versetzen sie in die Lage, am Prozess mitwirken zu können.Geeignete Massnahmen fördern die persönliche Gesundheitskompetenz der Individuen. Schwer erreichbare Gruppen mit tieferer Gesundheitskompetenz werden intensiver und bedürfnisorientierter angesprochen.
Lesen und SchreibenOrganisationen erkennen Lese- und Schreibfähigkeiten des Zielpublikums. Wenn diese nicht genügend vorhanden sind, verbreiten die Organisationen die Informationen, z.B. in Form von Piktogrammen.Individuen haben genügend Lese- und Schreibekompetenz, damit sie schriftliche Informationen nutzen können.
Sprache(n)Informationen werden in mehreren Sprachen bzw. in der Sprache des Zielpublikums angeboten.Individuen können die Landessprache(n) verstehen.
Umgang mit digitalen MedienDigitale Medien sind so gestaltet, dass sie für alle Menschen zugänglich sind.Individuen können digitale Medien sicher anwenden und sie wissen, wo sie Informationen finden können.
InformationskompetenzInformationen werden auf eine verständliche Weise formuliert und leicht zugänglich verbreitetIndividuen können Informationen aufnehmen, verarbeiten und anwenden.
Kognitive, soziale und kritische FertigkeitenOrganisationen erkennen die Gesundheitskompetenz des Zielpublikums und passen die Informationen dementsprechend an.Individuen können kritisch hinterfragen und den sozialen bzw. politischen Kontext verstehen.

Literaturhinweise

  • Kickbusch, I. & Maag, D. (2008). Health Literacy. In H. Kris & Q. Stella (Hrsg.), International Encyclopedia of Public Health. Volume 3 (S. 204-211)
  • Abel, T. & Sommerhalder K. (2015). Health Literacy - Gesundheitskompetenz. Das Konzept und seine Operationalisierung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Nr. 9, 923-929
  • Norman CD, Skinner HA. (2006). eHEALS: The eHealth Literacy Scale. Journal of medical Internet research;8(4):e27. DOI. 10.2196/jmir.8.4.e27
  • Sørensen, K., Van den Broucke, S., Fullam, J., Doyle, G., Pelikan, J., Slonska, Z. & Brand, H. (2012) European Consortium Health Literacy Project. Health literacy and public health: a systematic review and integration of definitions and models. MC Public Health, 12, 80. DOI: 10.1186/1471-2458-12-80

Was Sie daran hindern könnte, diese Aspekte zu berücksichtigen

  • Sie haben sich bislang noch nicht mit dem Konzept der Gesundheitskompetenz auseinandergesetzt.
  • Es ist schwierig, das anspruchsvolle Konzept der Gesundheitskompetenz für konkrete Projekte nutzbar zu machen.

Was Sie gewinnen können

In der Gesundheitsförderung ist die Befähigung zu mehr Kontrolle über die eigene Gesundheit eine zentrale Zielsetzung. Wenn Sie in Ihr Projekt Kernelemente der Gesundheitskompetenz aufnehmen, dann tragen Sie dazu bei, wesentliche gesundheitsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern.

Was Sie konkret tun können

  • Setzen Sie sich mit dem Konzept Gesundheitskompetenz auseinander.
  • Prüfen Sie, welche Kompetenzen in der Zielgruppe bereits vorhanden sind und welche ergänzend aufgebaut werden können.

Reflexionsfragen

  • Haben Sie eine konkrete Vorstellung davon, wie Sie das Konzept der Gesundheitskompetenzen für die Praxis nutzen können?
  • Welche Kompetenzen erachten Sie für das Setting oder die Zielgruppe in Ihrem Projekt als zentral und wie können Sie diese konkret fördern?
  • Durch welche Massnahmen möchten Sie konkret Gesundheitskompetenzen vermitteln?